Donnerstag, 15. Oktober 2009

Einen Augenblick Geduld, bitte!

Bevor ich nach Tansania kam, war mir bewusst, dass das afrikanische Zeitgefühl ein anderes ist. Dass ich lernen muss, zu warten, geduldig zu sein und die Dinge laufen zu lassen. Ich hatte es mir alles aber nicht ganz so anstrengend, mühsam und verwirrend vorgestellt.

Tansanier verstünden es nicht, sagte man: “Ich habe keine Zeit“. Für sie geht Zeit nicht verloren, da sie sie -anders als wir linear- kreisförmig betrachten. Das bedeutet, Zeit kommt immer wieder. Wenn für uns ein Tag endet, beginnt bei ihnen der Neue.

Das erklärt vielleicht auch, dass sie Termine nicht als wichtig erachten. Oder vielmehr, dass sie sie gar nicht als solche anerkennen. Sie scheinen dann zu kommen, wenn sie wollen und man kann sich glücklich schätzen, wenn man eine Begründung für die Verspätung erhält.

Es ist hier wichtiger, sich ausführlich mit einem Bekannten zu unterhalten, den man zufällig auf der Straße getroffen hat, als weiterzueilen, um seine Verabredung nicht warten zu lassen. Die Bewertung, was unhöflicher ist, wird ganz anders getroffen als in Deutschland. Wir würden, klingelte mitten in einem Gespräch das eigene Mobiltelefon, schnell eine Entschuldigung murmeln und den Anrufer abweisen. Hier wird der Gesprächspartner einfach stehen gelassen, er wird ja wohl kaum weglaufen, wohingegen der Anrufer schwieriger wieder zu erreichen wäre.

Wenn man sich durch Tansania bewegt, kann man durchaus den Eindruck haben, es sei eine wartende Nation. Menschen sitzen am Straßenrand, wandern hin und her, unterhalten sich mit Fremden, alles nur, weil sie auf jemanden warten. Natürlich haben Tansanier überhaupt kein Problem damit, schließlich sind sie so aufgewachsen. Und wird ihnen doch mal langweilig, werden sich doch immer ein paar Touristen finden lassen, die man einfach mal so eine Zeit lang begleiten, zum nächsten Markt führen oder stundenlang mit den schmalzigsten Anmachsprüchen im Jugendzeitschriftenstil belästigen kann ( die beiden Favoriten: ”Did it hurt when you fell down from the sky today, because you look as sweet as an angel” und “Have you already thanked your mother for giving birth to you today?Otherwise I will do that!”).

Ich musste lernen, Zeitangaben nicht zu trauen bzw. erstmal in eine etwas realistischere Einschätzung umzurechnen. Bei 30 Minuten multipliziere man bitte mit 3 und wenn man um 16 Uhr verabredet ist, lohnt es sich, sich erst um 17 Uhr auf den Weg zu machen. Man kann sicher sein, dann immer noch warten zu müssen.

“Sasa hivi”, was eigentlich “jetzt genau” bedeutet, wird hier gerne als Allzweck-Angabe verwendet. Es kann zwei Minuten, eine Dreiviertelstunde oder auch eines Tages bedeuten. Ich habe einmal in einem Daladala beobachten können, wie eine Frau, gerade dazugestiegen, am Telefon ihrer Bekannten mitteilte, sie würde “sasa hivi” kommen, und zwar zu einem Ort, der ungefähr zwei Stunden entfernt ist.

Für mich ist es erstens eine große Umstellung und zweitens ganz schön anstrengend. Denn obwohl man draußen immer etwas Interessantes beobachten kann, ist langes Stehen doch nicht die schönste Beschäftigung, die ich mir vorstellen kann. Es ist mühsam, sich während des Wartens immer mit dem “wieso” und “warum” zu beschäftigen, irgendwann gibt man auf und ist einer von vielen, die am Straßenrand stehen und sich in Geduld üben. Keinem anderen jedoch steht die Erleichterung so ins Gesicht geschrieben wie mir, wenn endlich die lang ersehnte Person erscheint.

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