Montag, 1. März 2010

Wo Katzen mit Kakerlaken spielen...

Wie oft hat man mir in den letzten Wochen gesagt, ich solle doch mal wieder einen Blogeintrag schreiben! Einerseits brauchte es bis jetzt, dass das schlechte Gewissen, all die Erlebnisse schriftlich nicht festzuhalten- für euch und für mich-, die Faulheit besiegt hat und andererseits ist meine Enttäuschung erst jetzt überwunden. Dies ist nämlich nicht der erste Versuch, euch von meiner besonderen Reise zu berichten. Ich bin der unerträglichen Schwüle Dar es Salaams entflohen, habe an Zanzibars Traumstränden Tage und Nächte verbracht, bin nachts von den Hafenmauern Stone Towns ins kühle Wasser eingetaucht und Tansanias Tiervielfalt im Ruaha National Park begegnet – ich werde ein anderes Mal ausführlicher berichten.

Auf jeden Fall habe ich die bisher abwechslungsreichste, spannendste und beste Zeit meines Lebens in den anderthalb Monaten verbracht und einen etwas anderen Jahreswechsel erlebt.
Es ist so viel passiert, dass ich nach meiner Rückkehr sehr aufgewühlt war und wirklich Schwierigkeiten hatte, das Erlebte in Worte zu fassen. Naja, eines Abends war es mir gelungen, fast 8 Seiten zu füllen und ich war stolz auf das Ergebnis. Dass ich sie am nächsten Morgen im Büro online stellen wollte, sollte anscheinend nicht sein.

Maria und ich sind morgens um 10 Uhr nach einem Treffen mit einem Schulminister entlang einer stillgelegten Eisenbahnstrecke zum Büro gelaufen, als zwei junge Männer angerannt kamen, Maria ein großes Buschmesser an die Kehle hielten und uns die Taschen wegrissen. Völlig geschockt aber glücklicherweise unverletzt mussten wir feststellen, dass uns soeben neben den meisten unserer Wertsachen die Arbeitsergebnisse des letzten halben Jahres gestohlen wurden. Wie üblich, wenn wir zur Arbeit gingen, hatten wir beide unsere Laptops dabei, drei Handys, meine Online-banking Zugangsdaten und einige Memorysticks. Wir hatten unsere Arbeitsdokumente dort für den Fall eines Computerabsturzes gespeichert – dass sie uns gestohlen werden konnten, war uns nicht in den Sinn gekommen.

So waren wir innerhalb einer halben Minute an den Beginn unserer Arbeit zurückkatapultiert worden. All die Recherche, die wir vorbereitend für unser Schulprojekt und die Solarpresentationen in Dörfern gemacht hatten, war umsonst gewesen; sämtliche Versuche zu erneuerbaren Energien und unsere dokumentierten Ideen, wie man eine Unterrichtsstunde anschaulich gestalten konnte, waren weg. Gerade waren wir startbereit, den Unterricht mit den Lehrern zu planen und freuten uns darauf, aktiv zu werden, nachdem wir so viele Hürden gemeistert hatten.

Traurig war auch, dass wir unsere persönlichen Dinge verloren hatten. Die vielen Fotos, die unsere ersten Monate in Afrika dokumentierten, unsere mühsam zusammengesuchte Musiksammlung, die uns durch ganz unterschiedliche Launen geholfen hatte. Welcher Verlust mir aber am meisten Leid tut, sind die tagebuchartigen Texte, die ich immer wieder geschrieben hatte, nur für mich. Unersetzbar und ohne Kopie.

Schockierend war auch die Reaktion unseres Chefs, als wir völlig aufgelöst im Büro ankamen. Er zeigte keine Regung, kein Mitleid oder Trost, noch nicht mal ein „Pole", dass soviel bedeutet wie „Tut mir Leid" und in Tansania sonst in jeder auch noch so belanglosen Situation gesagt wird, brachte er hervor. Vielmehr schien er direkt alle Schuld von sich weisen zu wollen (in einer Situation, von der von Schuld keine Rede sein konnte) und sich darüber zu amüsieren, wie blöd die beiden weißen Mädels mal wieder gewesen sind. Ihr müsst wissen, unser Verhältnis zu ihm ist kein gutes, aber dafür, dass er uns sonst vor anderen immer als seine Töchter beschreibt, war er eiskalt.

Den Weg den wir genommen hatten, waren wir schön öfters auch alleine gegangen und nie davor gewarnt worden, es könne dort gefährlich werden. Während des Überfalls waren einige andere Tansanier anwesend, weil die Strecke einen beliebter Verbindungsweg zwischen zwei Hauptstraßen bildet. Ob sie aus Angst oder Desinteresse nicht eingegriffen haben, wissen wir nicht, aber wir waren empört. Einfach zuzuschauen, wie zwei junge Frauen so bedroht werden...
Unser Chef brachte uns zur Polizeistation, wo unsere Namen und die gestohlenen Dinge vermerkt wurden. In Tansania dauert alles länger und dass man nicht immer perfekt ausgebildete Arbeiter verlangen kann, ist auch klar. Aber nachdem ich von einem Polizisten sexuell belästigt wurde, wir von sämtlichen anderen nach unseren Handynummern gefragt wurden (dass uns gerade alles gestohlen worden war, hatten sie anscheinend schon wieder vergessen) und sich unser Chef mit den Beamten über unser Gewicht lustig gemacht hatte, konnte ich nicht anders, als dem unfähigen Beamten den Stift aus der Hand zu nehmen und selber aufzuschreiben, was gestohlen wurde. Ich wollte nicht noch weitere zwei Stunden darauf warten, dass er mit der Schreibweise unserer Namen klarkam. Ich war den Tränen nahe ob der Unverschämtheiten der Polizisten.

Schließlich stellten wir uns dann die Frage, was jetzt geschehen wird. Nach vielen Telefonaten mit unserer deutschen Chefin entschieden wir dann mit den tansanischen Chefs und Betreuern in Dar es Salaam, dass wir die Einsatzstelle wechseln würden. Jetzt wird alles arrangiert, eine Unterkunft für uns gesucht und wir warten nur noch auf das OK, umziehen zu können. Das Verhältnis zu unserem Chef ist gestört, seitdem wir ihn auf sein Verhalten angesprochen haben. Da es für die DTP wichtig und auch in unserem Interesse ist, bringen wir die angefangenen Projekte noch zu einem Ende, um Enttäuschungen zu vermeiden.

Man hat uns gefragt, ob es nicht eine Art Weglaufen ist, was wir jetzt machen, aber ich bin ehrlich. Da bin ich lieber jetzt egoistisch, starte nochmal neu in einer neuen Stadt und neuen Einsatzstelle und erlebe noch eine gute zweite Hälfte des Freiwilligenjahres, als in einer Einsatzstelle und Stadt unzufrieden zu sein, in der ich zusammenzucke, wenn Menschen hinter mir anfangen zu rennen. Ich sehe es auch als Chance an, Tansania nochmal anders zu erleben. Es ist so, als würde ich zwei Freiwilligenjahre machen. Wenn man wie ich nicht nur an den Erfolg eines Projektes, sondern auch an die eigenen Erfahrungen und Erlebnisse denkt und das Jahr zu einem unvergesslichen Abschnitt der Jugend machen will, ist es eigentlich ideal. So hat alles Unglück doch auch immer eine gute Seite.

Es war jedoch erstaunlich wie viele Tansanier, denen wir von dem Vorkommen erzählten, direkt zum Ausdruck brachten, Arusha und seine Einwohner seien eigentlich ganz friedliche Menschen. Na klar, es gibt überall Gute und Böse. Wir versuchen in den letzten Tage hier dem Bösen aus dem Weg zu gehen und noch die Dinge zu tun, die wir schon immer in Arusha machen wollten. Mir fällt es auch wieder leicht, mich an den kleinen schönen Dingen des Tages zu erfreuen, so sah ich gestern, wie die junge Nachbarskatze spielerisch um eine richtig fette Kakerlake rumstolperte und an ihr gar nichts abstoßend zu finden schien.

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